Was sind Superfamilien und warum brauchen wir sie heute?

Wenn eine Schrift viele Strichstärken und mehrere Breiten bietet, sprechen wir von einer Großfamilie. Was sie zur Superfamilie macht, ist die Fähigkeit, verschiedene Tonalitäten und Persönlichkeiten anzunehmen und gleichzeitig selbstidentisch zu bleiben.

Terrance Weinzierl.

Die Schrift hat in den vergangenen Jahrzehnten einen langen Weg zurückgelegt: von der Druckerei nebenan, wo eine Handvoll Schriftarten alle Jobs erledigten, bis zur aktuellen mobilen Kommunikation. Heute benötigen Marken und Designer einen ausgeklügelten Werkzeugkasten mit Fonts, die verschiedene Stile, Textgrößen und Sprachen bedienen. Dies hat zu einem großen Angebot an Superfamilien geführt, die eine Vielzahl von Aufgaben und Kanäle meistern können, und gleichzeitig die visuelle Identität stärken. Was genau definiert eine Superfamilie, oder eine Schriftsippe?

„Normalerweise denke ich bei einer Superfamilie als erstes, dass sie mehr als eine Stilklasse bietet, sagen wir eine Serif- und eine Sans-Variante … aber das ist nicht in Stein gemeißelt“, erklärt Terrance Weinzierl, Senior Type Designer bei Monotype. „Wenn eine Schrift viele Strichstärken und mehrere Breiten bietet, sprechen wir von einer Großfamilie. Was sie zur Superfamilie macht, ist die Fähigkeit, verschiedene Tonalitäten und Persönlichkeiten anzunehmen und gleichzeitig selbstidentisch zu bleiben … durch ein gemeinsames Buchstabengerüst, sowie synchrone Strichstärken und Metriken.“

Versuchen wir dies einfach mal mit einem anderen grafischen Grundbaustein zu illustrieren, der Farbe. Während eine große Schriftfamilie, quasi eindimensional, die Achse von einem hellen bis hin zum dunklen Blau abdecken kann, bringt die Superfamilie ein zweite Dimension ins Spiel, und erlaubt zum Beispiel die Erweiterung des Farbraums von Grün-Blau bis hin zu gelblichen und violetten Schattierungen. Superfamilien ermöglichen den Designern, verschiedene Schriftstile in einem 2-oder 3-dimensionale Schriftstilraum zu wählen und harmonisch zu kombinieren, ohne selbst nach optisch verwandten Schriften recherchieren zu müssen.

Malou Verlommes neue Superfamilie Macklin ist ein gutes Beispiel für eine zeitgemäße Superfamilie, da sie sowohl zwei Schriftklassen als auch zwei Anwendungsbereiche in einer einzigen Familie vereint: Sans & Slab und Text & Display (zwei optische Größen). Da die vier Familien auf einer gemeinsame Architektur basieren, harmonieren sie alle miteinander.

Ein Komplettbaukasten für Marken.

Gerade diese innere Harmonie ist es, was Superfamilien für das Marketing so wertvoll macht. Sie erlauben Unternehmen oder Marken, sich für nur eine Schrift zu entscheiden, die aber alle kreativen Aufgaben meistern kann und darüber hinaus dem Design-Team Räume für zukünftige Anpassungen öffnen.

Superfamilien können unter anderem im Editorial Design sehr hilfreich sein, wo Sans und Serifs miteinander und nicht gegeneinander antreten. Oder in Firmen, die eine Monospaced- Variante ihrer Hausschrift für Angebote, Rechnungen und den Geschäftsbericht benötigen. Marken, die neue Produkte auf den Markt bringen, ihren Geschäftsbereich ausdehnen oder sich auf neuen Plattformen präsentieren möchten, brauchen einen flexiblen typografischen Baukasten … zum Beispiel eine Superfamilie, die bei allen Auftritten in die visuelle Identität der Marke einzahlt.

This image shows how three styles of Macklin—Slab for the headline, Sans for the subhead, and Text for the body—can be used to lay out a single editorial piece. Superfamilies like this give you the range to distinguish different blocks of text while maintaining a strong visual throughline.

„Eine Superfamilie in Ihrem Styleguide hilft dabei, eine neue Produktlinie zu promoten, einen neuen Service bekannt zu machen oder den Tonfall Ihres Unternehmens zu reformieren, garantiert authentisch und wiedererkennbar“, hebt Weinzierl hervor.

„Stellen wir uns ein Möbelunternehmen vor, das eine Produktlinie fürs Kinderzimmer starten möchte“, ergänzt Weinzierl. „Die Hauptmarke verwendet eine Sans, für die neue, junge Linie kommt eine Rounded-Version dieser Schrift zum Einsatz. Die sieht freundlich aus, fügt sich sicher in den Workflow ein und harmoniert automatisch mit der Marke. Gerade hier kommt es darauf an, eine eng benachbarte Schrift zu finden, keine kontrastierende.

Eine Superfamilie in Ihrem Styleguide hilft, eine neue Produktlinie zu promoten, einen neuen Service bekannt zu machen oder den Tonfall Ihres Unternehmens zu reformieren – garantiert authentisch und wiedererkennbar.

Terrance Weinzierl.

Manche Superfamilien bieten eine derart große Auswahl an Schriftvarianten, dass es einem Design-Team schwer fallen kann, den Anfang zu finden. „Wer sich von dem Angebot überfordert fühlt“, rät Weinzierl, „sollte klein anfangen, von innen nach außen“. Der Start mit einem klassischen Set an Strichstärken (z. B. Regular, Medium, Bold, Black) und eventuell den passenden Kursiven dazu ermöglicht es allen Benutzern, sich langsam mit der Familie vertraut zu machen. Es gibt den Designern ausreichend Zeit zu verstehen, wohin sich ein Projekt entwickeln könnte, ob es weiterer Stile bedarf oder eines größeren Kontrasts. Das Lizenzieren einer kleinen Palette, die jederzeit schrittweise erweitert werden kann, ist perfekt für Start-ups oder Designer, die in der Frühphasen einer Markenentwicklung stecken und deren Budget limitiert ist.

„Superfamilien sind gerade n der Anfangsphase eines größeren Projektes hilfreich, wenn noch nicht klar ist, was eine Marke in Zukunft braucht“, sagt Weinzierl. „Nehmen wir an, Sie arbeiten an einem Packaging-Konzept, bei dem noch völlig offen ist, wie breit das Produktspektrum mal werden könnte, aber es sollen erste Prototypen gebaut werden. Wenn Sie mit einer Superfamilie starten, bauen sie eine flexible typografische Basis, deren Tonalität sie leicht ändern können, ohne das gesamte Layout über den Haufen zu werfen. Später dient eine Superfamilie der Langlebigkeit einer Marke, und erweist sich somit als nachhaltige Investition.“

„Steht Ihnen eine Sans, eine Serif und eine Rounded zur Verfügung, und Sie wissen noch nicht, wofür Sie welchen Stil einsetzen sollen … betrachten Sie es wie eine Rücklage für die Zukunft: Die Schrift als Speisekammer“, scherzt Weinzierl. „Mit dieser Strategie können Sie in ein paar Jahren, wenn eine Untermarke oder ein neues Produkt lanciert werden soll, auf das inzwischen erzielte Renommee und die visuelle Bekanntheit der Marke aufbauen. Sie profitieren automatisch von der typografischen Bandbreite, mit der Sie klein angefangen haben“.

Fit für die Zunkunft.

Superfamilien tragen ein Potenzial für die Zukunft in sich, das weit über die reine Markenbildung und deren visuelle Identität hinausgeht. Denken wir nur an Virtual Reality und Augmented Reality, die immer häufiger im Marketing eingesetzt werden und trotzdem ganz am Anfang stehen. Betriebssysteme reagieren inzwischen auf die Tageszeit oder die Lichtverhältnisse (Hell/Dunkel-Modus). Diese Art Technologien stellen hohe Anforderungen an die bereits verwendete Hausschrift, zum Beispiel feine Strichstärken- Abstimmungen, um den Lesekomfort sicher zu stellen. Superfamilien können sich als ein integrales Werkzeug herausstellen, wenn es darum geht, mit neuen Technologien und den Bedürfnissen virtueller und dreidimensionaler Umgebungen Schritt zu halten. Sie bieten eine typografische Flexibilität, die es Unternehmen erlaubt, die Stimmung und den Stil ihrer Markenschrift plattformübergreifend zu variieren, ohne Kompromisse bei der Kommunikation einzugehen.

„Da unsere Computer sowie das gesamte Design und das Coding drumherum immer komplexer und verwobener werden, stellt sich die Frage, wie wir die Tonalität innerhalb einer bestehenden Architektur nur ,ein klein bisschen‘ abändern können“, sagt Weinzierl. „Kann die Schrift an dieser Stelle nicht gerundet sein? Könnten Serifen bei den Bildunterschriften nicht die Lesbarkeit verbessern? Einschränkungen werden zu Chancen, weil alles machbar ist“.